Donnerstag, 1. März 2012

Gespräche in Jerusalem....


Nach unserem Besuch in Yad Vashem fuhren wir im Reisebus den Herzlberg hinunter, dann weiter Richtung Osten durch immer enger werdende Straßen hinein ins Häuserdickicht der israelischen Hauptstadt. Dort, wo die beiden Viertel Gonen Katamon und Griechische Kolonie sich treffen, befindet sich die Jerusalemer Dependance des „Leo Baeck Instituts“ (LBI), unser nächstes und gleichzeitig letztes Ziel an diesem Tag. Vor Ort wurden wir von Anja Siegemund, der gegenwärtigen Direktorin des 1955 gegründeten Forschungszentrums herzlich empfangen und auch Michael Mertes, Leiter des nur wenige hundert Meter entfernten Auslandsbüros der „Konrad-Adenauer-Stiftung“ (KAS), und David Witzthum, Moderator und Chefredakteur bei der Rundfunkanstalt „Israel Broadcasting Authority“, die sich bereit erklärt hatten, mit uns über den Nahostkonflikt und vor allem über dessen Darstellung in den deutschen, israelischen und internationalen Medien zu sprechen, waren anwesend.

Doch zunächst erzählte Frau Siegemund uns vom Leben und Wirken Leo Baecks, dem Namensgeber des Instituts. Baeck wurde 1873 in der damaligen preußischen Provinz Posen geboren. Er war zu seinen Lebzeiten nicht nur ein hoch angesehener Rabbiner und einflussreicher Religionsphilosoph, sondern galt auch als einer der wichtigsten Köpfe der liberalen Judenheit. 1926 beteiligte er sich maßgeblich an der Gründung der „Weltunion für Progressives Judentum“. Nach der Emigration des anderen großen jüdischen Religionsphilosophen, Martin Buber, war Baeck von 1938 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs der höchste Repräsentant des jüdischen Glaubens in Deutschland. Er hatte mehrfach die Gelegenheit, der von den Nationalsozialisten beherrschten Heimat den Rücken zu kehren und ins sichere Ausland zu fliehen. Doch er blieb und kümmerte sich weiter um die Menschen in seiner Gemeinde, auch dann, als man ihn ins Konzentrationslager Theresienstadt steckte. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und der Befreiung durch die Alliierten siedelte Baeck nach London über, wo er schließlich 1956 starb.

Das von ihm gegründete „Institut zur Erforschung des Judentums in Deutschland seit der Aufklärung“ war schon im Jahr zuvor in „Leo Baeck Institut“ umbenannt worden. Seit dieser Zeit, so Direktorin Siegemund, fungiere die Einrichtung als wichtige Dokumentationsstätte für die Geschichte der deutschsprachigen Juden. Das LBI Jerusalem sei darüber hinaus „das führende israelische Forschungszentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Deutschland und Zentraleuropa“. Überdies verfügt man noch über Zweigstellen in New York und London. Diese Städte waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die größten Emigrationszentren für deutsche Juden. In Deutschland selbst unterhält das Institut eine wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft und kooperiert seit vielen Jahren mit dem Bundesministerium des Inneren sowie mit mehreren  Forschungseinrichtungen wie zum Beispiel dem in Berlin ansässigen „Zentrum für Antisemitismusforschung“.

In Frankfurt residiert obendrein der Verein „Freunde und Förderer des Leo Baeck Instituts“, und in dessen Vorstand sitzt, unter anderen, Michael Mertes. Der Jurist und ehemalige Bundesbeamte ist gleichzeitig der Leiter des Auslandsbüros Israel der KAS. Er sprach mit uns zunächst über seinen Amtsantritt im Sommer 2011 und schilderte seine persönlichen Eindrücke und Erfahrungen sowie die Atmosphäre, die er damals vorgefunden hatte. Das für Mertes nach wie vor „unglaublich spannende und interessante Land“ habe eine extrem heterogene, aber auch offene Gesellschaft, die für ihn „intellektuell außerordentlich anregend“ sei. Seine bisherige Arbeit für die KAS in Israel sei besonders von zwei Ereignissen geprägt gewesen: Zum Einen vom „Arabischen Frühling“, den die Israelis jedoch als „arabisches Erwachen“ bezeichneten, denn sie betrachteten die politischen Umwälzungen in den Nachbarstaaten mit großer Ambivalenz und Ungewissheit. Die Erstürmung des israelischen Botschaftsgebäudes in Ägypten im vergangenen September und der fast vollständige Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols auf der Sinai-Halbinsel hätten unter den israelischen Nachbarn Schock und Entsetzen verursacht. Der verstärkte Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen und die zunehmenden Raketenangriffe auf Städte wie Aschdod und Be'er Sheva seit Beginn dieses Jahres täten ihr Übriges, so Mertes.
Die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Syrien verfolge man ebenfalls mit größter Skepsis und Sorge. Mertes thematisierte auch die Diskussionen in Israel um die Frage einer möglichen atomaren Bewaffnung des Iran. Weiterhin kam Mertes auf die innenpolitische Situation des jüdischen Staates und hier vor allem auf das zweite große Ereignis seit seinem Amtsantritt zu sprechen, nämlich die Massenproteste im vergangenen Sommer. Er kritisierte, dass die Ursachen dieser sozialen Spannungen in deutschen wie internationalen Medien nur verkürzt dargestellt worden seien. Die landesweiten Demonstrationen hätten sich zwar in erster Linie gegen zu hohe Steuern, Mieten und Grundstückspreise gerichtet, der Grundkonflikt liege aber woanders. Er beruhe auf einer tiefen Spaltung der israelischen Gesellschaft. Der KAS-Büroleiter veranschaulichte die Situation anhand eines Witzes, der im Land zurzeit die Runde macht: „Ein Drittel der Israelis leistet Wehrdienst, ein Drittel arbeitet und ein Drittel zahlt Steuern. Das Problem ist nur, dass es immer dasselbe Drittel ist.“ Doch große Teile der säkular-liberalen Mittelschicht seien nicht länger bereit, für andere Bevölkerungsgruppen zu schuften und dabei selbst immer weiter zu verarmen. Fast nirgendwo sonst in der westlichen Welt finde sich eine so große Kluft zwischen Arm und Reich. Die Ultraorthodoxen, die in der Regel vom Wehrdienst befreit seien, dank staatlicher Transferleistungen nicht arbeiten müssten, aber dennoch größtenteils in Armut lebten, sorgten mit ihrem immer offensiveren Auftreten im Alltag zusätzlich für sozialen Zündstoff. Andersdenkende würden von ihnen ignoriert oder diskriminiert, und die Idee einer Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben stoße bei vielen religiösen Fanatikern auf Zustimmung. Der israelische Staat müsse hier, zusätzlich zu den gewohnten existenziellen Bedrohungen von außen, nun auch noch mit einem innenpolitischen Kulturkampf fertigwerden, so Mertes.

Es folgte dann ein kurzer Einblick in die tägliche Stiftungsarbeit, die seit Beginn des „Arabischen Frühlings „auf jeden Fall schwieriger geworden ist“ so Mertes. Der Leiter des KAS- Büros erzählte auch noch von Projekten und Kooperationen, wie beispielsweise der Förderung junger Beduinen im Bereich der Bildungspolitik, an denen die Stiftung sich gegenwärtig beteiligt.

Dann übergab er das Wort an David Witzthum. Der Journalist und Autor, der zudem Mitglied im Vorstand des LBI Jerusalem ist, sprach zunächst über die mediale Darstellung des Nahostkonflikts in der Vergangenheit und kommentierte dann die aktuelle politische Situation in der Region und die Reaktionen der Presse hierauf. Die Berichterstattung über Israel sei in Israel selbst grundsätzlich differenzierter als diejenige in Deutschland und Europa. Gehe es um das kleine Land am Mittelmeer, schreibe und sende die deutsche Presse seit Jahrzehnten fast ausschließlich über den Konflikt mit den Palästinensern. Für die meisten Journalisten in der Bundesrepublik seien dies die einzigen erwähnenswerten Nachrichten. Andere Themen kämen quasi nicht vor. In israelischen Medien wiederum gebe es immer weniger Schlagzeilen und Berichte über das, was sich in den palästinensischen Autonomiegebieten beziehungsweise in den Siedlungen im Westjordanland abspielt. In Jerusalem und Tel Aviv interessiere man sich hauptsächlich für Neuigkeiten aus den USA, Europa und Asien. Die Entwicklungen in der arabischen Welt und im Iran verfolge man ebenfalls sehr aufmerksam. Laufen auf einem israelischen Fernsehkanal aber Nachrichten aus Gaza oder Reportagen aus Ramallah oder Hebron, „schalten die meisten Israelis um“, so Witzthum.
Der Medienexperte sprach dann auch über die seit dem Jahr 2002 im Bau befindliche Sperranlage zum Westjordanland, die von einer großen Mehrheit der israelischen Bürger befürwortet wird, sowie über das Schicksal des im Jahr 2006 entführten und im vergangenen Oktober freigelassenen Soldaten Gilad Schalit. Anhand dieser beiden Themen veranschaulichte er noch einmal, wie verschiedenartig internationale Presseorgane auf der einen und israelische Presseorgane auf der anderen Seite über die politischen Entwicklungen vor Ort berichteten. Drehten die Schlagzeilen sich dann noch, wie im Fall Schalit, um ein emotional hoch aufgeladenes Thema, träten die Unterschiede besonders stark zutage. „Gilad Schalit war ja in den Augen vieler Israelis, auch dank einer ausgeklügelten PR-Kampagne, nicht mehr nur ein einfacher Soldat. Fast jede Familie hier betrachtete ihn zeitweise als eigenes Kind und verlorenen Sohn“, sagte Witzthum.
Solche „personalisierten Geschichten“ und deren Verbreitung über möglichst viele Kanäle führten zwar zu einer durchaus beachtenswerten Mobilisierung der Gesellschaft bis hin zu weltweiter Anteilnahme. Allerdings sehe er hier auch die „Gefahr einer Entpolitisierung des Nahostkonflikts“.
Und dies könne nicht im Interesse von Politik und Presse sein.

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