Am
ersten Tag in Jerusalem haben wir auch einen Termin in der Knesset, dem
Parlament Israels. Während der Führung erfahren wir die wichtigsten Basics zum
Parlament und Wahlsystem: Die Knesset besteht aus 120 Mitgliedern und ist ein
Einkammernparlament. Aufgrund von einer nur sehr niedrigen Sperrklausel von
zwei Prozent stammen dessen Mitglieder, die für eine Legislaturperiode von vier
Jahren gewählt werden, aus vielen verschiedenen, zum Teil sehr kleinen Parteien,
weshalb sich die Regierung bisher immer aus einer Koalition zusammensetzen musste,
um die Mehrheit von 61 Sitzen im Parlament zu erreichen. Nach dem es die Kadima-Partei
als stärkste Partei mit 28 erzielten Sitzen in der 2009er Wahl nicht geschafft
hatte eine Koalition zu bilden, führt nun Premierminister Benjamin Netanjahu als
Vorsitzender der konservativen Likud-Partei (27 Sitze) eine Koalition von sechs
zum Teil sehr unterschiedlichen Parteien an. Hier steht sich die starke
Repräsentation der Meinungsvielfalt, auch von Minderheiten, einer effektiven
und handlungsfähigen Arbeitsweise gegenüber, was nicht selten zu fragilen
Regierungen führt. In diesem speziellen Fall stehen sich sogar stark
rechtsgerichtete Parteien der linken Arbeiterpartei gegenüber, was die Diskussionsgrundlage
noch weiter verkompliziert.
Die
Knesset kontrolliert den Premierminister und entscheidet beispielsweise über
Kriegseinsätze. Ihre Abgeordneten wählen den Präsidenten für eine
Legislaturperiode von sieben Jahren.
Der
Plenarsaal ist das Herz der Knesset, da hier alle Entscheidungen getroffen
werden. Die Sitze und Tische sind so angeordnet, dass sie eine Minora, einen
siebenarmigen Leuchter, bilden. 16 Mitglieder sind nicht jüdisch, sondern
muslimisch oder christlich, und es gibt 26 weibliche Abgeordnete. Die Sitzungen
finden von Montag bis Mittwoch statt. Sie sind öffentlich zugänglich und werden
vom eigenen TV-Sender live übertragen. Auf der Galerie gibt es Plätze für
Besucher und einen Bereich für Ehrengäste wie Botschafter oder ähnliche
persönlich eingeladene Gäste. Der Platz des Präsidenten ist durch einen roten
Teppich gekennzeichnet.
Neben
den exekutiven Funktionen wohnt der Knesset auch eine wichtige repräsentative
Funktion und emotionale Bedeutung inne. Hier wurde schon oft Geschichte
geschrieben: So empfängt die Knesset unterschiedlichste, wichtige Staatschefs,
ehemalige Feinde wie der frühere ägyptische Präsident Sadat sprachen hier, die
Unabhängigkeitserklärung wird hier aufbewahrt und die Trauerfeier zur Ermordung
Jitzchak Rabins fand ebenfalls in diesen Gebäuden statt. Es gibt einen
TV-Sender, der live von den Debatten berichtet und somit direkt bei der
öffentlichen Bildung mitwirkt.
In
der Eingangshalle wird das Original der Unabhängigkeitserklärung ausgestellt
sowie drei sehr große Wandteppiche und Wand- beziehungsweise Bodenmosaike des
russisch jüdischen Künstlers Marc Chagall. Inhaltlich befassen sich diese
Wandteppiche mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des jüdischen Volkes,
wobei mit ersterem der Auszug aus Ägypten, danach das Glück über den endlich
errungenen, eigenen Staat und mit letzterem das Ende aller Tage gemeint ist.
Nach
dieser Führung hatten wir die einmalige Gelegenheit mit zwei Vertretern der
Knesset zu sprechen: zum einen eine Koordinatorin der Likud-Partei, die jedoch
nicht direkt zur Partei gehört, sondern von der Knesset bezahlt wird, und zum
anderen einem Vertreter der oppositionellen Kadima-Partei aus dem Bereich
Auslandsbeziehungen. Als Probleme sehen beide eindeutig, dass sich die israelische
Politik zu lange fast ausschließlich um Sicherheitsbelange gekümmert habe. Dies
schlüge sich dann natürlich auch in der finanziellen Verteilung nieder, so dass
gerade für Soziales zu oft zu wenig übriggeblieben ist. Doch die aktuelle
Situation zeige, dass genau diese Punkte bei der Bevölkerung als wichtiger
eingestuft werden: zu hohe Preise und zu niedrige Löhne, die Situation der
arabischen Israelis und auch die Friedensverhandlungen mit der palästinensischen
Autonomiebehörde. Es gäbe zu viele Stimmen und Meinungen, so dass am Ende außer
dem Sicherheitsaspekt nichts richtig angegangen würde. Auch wenn sich beide
darin einig sind, dass die Sperrklauselregelung geändert werden müsse, sei
nicht sie direkt das Problem, sondern die relative Bedeutung der kleinen
Parteien innerhalb einer Koalition. Aktuell werde sich dieses Problem jedoch
nicht angehen lassen, da in der Koalition Parteien sitzen, die selbst nur vier
Prozent der Stimmen errungen haben. Bei solchen Unstimmigkeiten innerhalb der
Regierung, beispielsweise auch Fragen, die das Verhältnis von Staat und
Religion betreffen, argumentiere man mit dem Status Quo und setze einfach ein
Veto ein. Auf diese Weise komme es gerade an solch kritischen Punkten zu keinen
Veränderungen. Beim Thema Verfassung sähe es ähnlich aus. Auch hier könnten sich
die Vertreter der verschiedenen Positionen seit Beginn an nicht einigen: ultra-
orthodoxe Gruppierungen verlangten die Aufnahme des „jüdisch“ in die
Staatsbezeichnung und stellten dies über das „demokratisch“. Die Mehrheit der
israelischen Bevölkerung lehne solch einen religiösen Lebenseinfluss jedoch ab,
ganz zu schweigen von der muslimischen israelischen Bevölkerungsgruppe, die
hiermit nicht berücksichtigt würde. Somit bliebe noch einiges zu tun, was ihren
Job manchmal sehr anstrengend und kompliziert gestalte, man benötige viel
Fingerspitzengefühl, aber genau dies mache es auch so spannend.
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