Sonntag, 4. März 2012

Die Altstadt von Jerusalem

Die Tatsache, dass uns Jerusalem trotz strömendem Regen, Wind und ungastlichen 5 Grad in seinen Bann gezogen hat, spricht wohl für sich. Gedanklich noch immer mit Eindrücken aus Ramallah beschäftigt, kamen wir wieder in Jerusalem an. Da wir noch etwas freie Zeit zur Verfügung hatten bevor wir unseren Guide Jonathan treffen sollten, konnten wir in kleinen Gruppen vom Damaskustor aus in Souk gehen, uns treiben lassen, zu Mittag essen und einfach die Umgebung auf uns wirken lassen. Vom Schabbat, der noch in vollem Gange war, war hier nichts zu spüren. Überall standen und liefen Menschen herum, wurden Waren angepriesen, begutachtet und gehandelt, zwischendurch immer mal wieder die mittlerweile so vertraute Sicht von Soldaten mit Maschinengewehren.

Um 14.00 trudelten alle wieder wohlbehalten und gestärkt am Damaskustor ein. Die Gruppe wurde geteilt, Herr Wittstock sollte den einen, Yonathan den anderen Teil durch Jerusalem führen. Zwar sollten wir die gleichen Sehenswürdigkeiten besichtigen, aber in unterschiedlicher Reihenfolge um allzu großes Chaos zu vermeiden.

Der erste Stopp, wobei das Wort eigentlich hier fehl am Platze ist, ist die Via Dolorosa. Oder besser gesagt ihre erste Station. Die Via Dolorosa ist der Weg den Jesus damals angeblich mit dem Kreuz gegangen ist. Sie besteht aus 14 Stationen die sich durch die Altstadt Jerusalems ziehen. An jeder der Stationen hat sich ein bestimmtes, mehr oder weniger bedeutsames, Ereignis der Kreuzigung zugetragen. Die Via Dolorosa endet in der Grabeskirche am Heiligen Grab. Aus Zeitgründen besichtigten wir nicht jede Station ausführlich, aber unser Führer weist uns immer mal wieder auf die römischen Nummern hin, die jede Station kennzeichnen. Wir laufen durch die schmalen Gassen des Souks in Richtung Grabeskirche, sie wird als Ort der Kreuzigung und Auferstehung Jesu angesehen. Die Grabeskirche verdeutlicht das Chaos das religions- und somit oft auch verwaltungstechnisch in Jerusalems Kirchen herrscht: stolze sechs christliche Konfessionen sind an der Verwaltung der Grabeskirche beteiligt: Griechisch-Orthodoxe, welche die Hauptverwaltung haben, die Römisch-Katholische Kirche (wird durch den Franziskaner Orden vertreten), die Armenisch Apostolische Kirche, die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien, die Kopten und die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche. Die widersprüchlichen Interessen dieser Glaubensgruppen haben bis jetzt auch eine Renovierung der Kirche erschwert, wenn nicht sogar fast unmöglich gemacht.

Es ist beeindruckend zu sehen wie viele Gläubige sich in der Kirche tummeln, ewig in der Schlange warten um die Stelle zu sehen an der angeblich das Kreuz stand, oder um einmal in die vermutete Grabkammer von Jesus zu gehen. Im Anschluss an die Grabeskirche haben wir die Gelegenheit uns etwas mehr mit dem muslimischen Jerusalem zu beschäftigen. Unsere Guide führt uns wieder auf den Souq und gibt uns eine Stunde Zeit diesen auf eigene Faust zu erkunden, warnt uns allerdings uns nicht zu verlaufen. Das ist gar nicht so einfach, viele Gassen sehen sich unglaublich ähnlich: in den meisten reihen sich Gewürz- an Stoff- und Souvenirhändler. Aber es gibt auch Goldschmiede, T-Shirt Stände und Händler mit Räucherwerk. Trotz des strömenden Regens und des kalten Winds genießen wir die freie Zeit und stöbern an den Ständen nach Mitbringseln für zuhause. Als Mittel gegen die Kälte probieren wir eine Art flüssigen Grießbrei mit Zimt und Lavendelblüten. Es schmeckt zwar ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber auch sehr lecker.

Nachdem sich unsere Gruppe wieder zusammengefunden hat, gehen wir ins jüdische Viertel. Es steht in einem starken Kontrast zu dem belebten Souk. Das liegt aber, so versichert uns unser Tourguide, daran dass immer noch Schabbat ist. Während in Tel Aviv nach Aussagen unserer israelischen Freunde das Leben noch weitergeht, scheint es in Jerusalem wirklich und wahrhaftig innezuhalten. Die Straßen sind wie ausgestorben, aus den Häusern dringen weder Musik noch laute Stimmen.
Yonathan führt uns zu den Ausgrabungsstätten des antiken jüdischen Viertels. Ein besonders vorsichtiges Vorgehen ist bei den Ausgrabungen notwendig, nicht nur aus archäologischer Sicht, sondern besonders durch die Nähe zum Tempelberg. Die Ausgrabungen liegen gute acht Meter unterhalb der Straße. Die Stelle die wir uns anschauen zeigt die Reste einer römischen Straße die vermutlich zum Mark führte, und einen Teil der alten Stadtmauer.

Die Klagemauer besuchen wir nicht nochmal, sie stand gestern auf dem Programm. Stattdessen führt uns Yonathan zu einem Aussichtspunkt ganz in der Nähe der Ausgrabungen von dem aus wir fast die ganze Altstadt sehen können. Besonders der goldene Dom bietet einen Kontrast zum leider immer noch sehr grauen Himmel. Gestern haben wir genau auf der anderen Seite der Aussicht gestanden und dorthin geblickt wo wir nun stehen. Direkt hinter uns steht eine riesige goldene Menora unter einer Glaskuppel. Es ist geplant sie in den prophezeiten dritten Tempel zu stellen. Yonathan meint dass sei zwar etwas optimistisch, aber gut dass vorgesorgt sei.  Besonders passend zu der Aussicht die wir genießen ist ein Zitat des Literaturnobelpreisträgers Shmuel Yosef Agnon der schreibt dass ein Mensch über die Dächer von Jerusalem von einem Ende der Stadt zum anderen kommen kann. Jerusalem ist eine Stadt die durch Häuser verbunden, aber durch Einwohner getrennt wird.

Der Aussichtspunkt ist der krönende Abschluss der Tour. Auch wenn wir traurig sind die Altstadt von Jerusalem zu verlassen, werden wir bestimmt mit mehr Zeit (und hoffentlich Sonne) wiederkommen.

Samstag, 3. März 2012

Gespräche in Ramallah


Unser Ausflug in die Palästinensergebiete führt uns nach Ramallah im Westjordanland. Man erklärt uns vor Ort, dass Ramallah nicht die "generelle Situation" in Palästina  widerspiegeln könnte, da das Leben in dieser Stadt eine positive Ausnahme zum Leben im restlichen Westjordanland darstelle - Ramallah sei wie eine Blase. Nachdem wir, zu unserer Überraschung ohne Passkontrolle, den Checkpoint zum Westjordanland und somit die Grenzanlagen überwunden haben, bekommen wir zum ersten Mal einen Einblick in die Stadt. Die Umstände gleichen eher einem Entwicklungs-, als einem Industrieland, in den Straßen sammelt sich der Müll. Auf den zweiten Blick jedoch sieht man, dass überall gebaut wird und die Stadt sich immer weiter wiederaufbaut und sich zwischen den Kleinwagen nicht selten ein Mercedes oder BMW seinen Weg durch Straßen bahnt.

Unser erstes Treffen in Ramallah hatten wir mit Mahmoud Labdi, dem Medienbeauftragten für Internationale Beziehungen der Fatah. Unter den Augen von Jassir Arafat und Mahmut Abbas, deren Porträts die Wände des Fatah-Büros schmückten, stellt er uns seine Sicht auf den Konflikt vor. Er beschreibt die aktuelle Lage als sehr negativ und sagt, dass er keinen Ausweg daraus sieht, da die israelische Regierung der „neuen Rechten“ durch Expansionsstreben zu keinerlei Zugeständnissen bereit sei. Er spricht über jedes Thema mit dem Feindbild Israel im Hintergrund. Seine Rhetorik ist viel mehr auf Konfrontation angelegt, als auf Kompromiss, so scheint es. So sieht er etwa den Irankonflikt als reine Ablenkung der israelischen Seite, um die Probleme der Besatzung herunterzuspielen und ist der Meinung, dass der Iran durch sein Verhalten die Situation der Palästinenser verschlechtert. Er spricht auch sehr kritisvh über die Streitigkeiten innerhalb der Palästinenser zwischen Hamas und Fatah - dadurch, so Labdi,  profitierten nämlich die Israelis . Auf Nachfrage jedoch gibt er zu, dass es durchaus auch einige Palästinenser gebe, die etwas gegen eine Versöhnung der beiden stärksten Kräfte hätten, da auch sie durch den aktuellen Konflikt profitierten. Damit erklärt er auch die Spaltung innerhalb der Hamas, die die Verhandlungen zum Stocken gebracht habe, so dass er keinerlei Angabe zu möglichen Neuwahlen machen könne. Die aktuelle Strategie der PLO, gewaltfreien Widerstand zu leisten, so sagt er, sei alternativlos, da die Palästinenser keine militärisch-starken Verbündeten hinter sich hätten, um eine kriegerische Auseinandersetzung gewinnen zu können und auch der Terror der zweiten Intifada den Palästinensern keinerlei Verbesserung gebracht habe. Die neue Taktik setze auf Demonstrationen, um von innen heraus Druck auszuüben und auf internationale Aktivitäten (UN-Aufnahme, usw.), um den Druck von außen zu erhöhen. Das Ziel der neuen Strategie sei es, Israel durch internationalen Druck zu Zugeständnissen zu bewegen. Hierzu fordere man von Deutschland, dass die, von den Palästinensern nachvollziehbare Solidarität mit den Israelis nicht auf Kosten der eigenen Rechte geht.

Anschließend fahren wir zum Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah, um mit Lama Hourani über den Konflikt und ihre Arbeit zu diskutieren. Sie ist Program Coordinator für das "democracy & reform, foreign relations & dialogue program" und selbst Palästinenserin. Sie schildert uns, dass sie zwar versuchen in den Feldern Menschenrechte, Gleichstellung von Mann und Frau, Demokratie und Außenbeziehungen mit verschiedenen NGOs, Akademikern und der Jugend zusammen zu arbeiten, diese Themen jedoch immer, wie jeder einzelne Aspekt des Lebens im Westjordanland, von der Besatzung überlagert würden. So, sagte Hourani, könne es kaum zu einer effektiven Zusammenarbeit mit den israelischen Kollegen kommen, um etwa Kontakt oder Annäherung zwischen palästinensischen und israelischen Jugendlichen herzustellen. Darum versuchten sie vor allem, die politische Stimmung zu erforschen und diese und die Probleme der Bevölkerung durch Vorträge in Brüssel und in Berlin auf die politische Agenda zu setzen. Außerdem arbeiteten sie gerade daran, einen Vorschlag für eine gemeinsame Strategie einer vereinten Regierung der Palästinenser auszuarbeiten. Auch schildert sie uns einige der Probleme, die die Besatzung hervorbringt. So gäbe es Städte, welche komplett von einer Mauer umgeben seien, die nur ein Tor am Stadteingang besitzen, welches von israelischen Soldaten kontrolliert werde. Die ökonomische Situation der Palästinenser sei fatal, die komplette Wirtschaft abhängig von den Israelis. Die Palästinenser könnten ohne internationale Hilfe nicht überleben. Als schlimmstes Beispiel für die Besetzung beschreibt sie die Situation in Hebron, wo die junge Generation seit ihrer Geburt ständig den Kontrollen der israelischen Soldaten ausgesetzt und sich nicht frei bewegen könne. In dieser Generation, so machte Hourani deutlich, sieht sie "nur Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung". Einen möglichen Ausbruch eines neuen Aufstandes könnte man nie vorhersehen und sie selbt befürchte manchmal, dass es nicht mehr lange dauert, bis diese „verlorene Jugend“ erneut rebelliere. Sie problemaitisierte auch, dass viele - vor allem in der westlichen Welt - erwarten würden, dass ein solcher Aufstand friedlich verlaufe. Die Jugend habe durch die Besetzung zu viel Demütigung erfahren, als dass sich diese nicht in Hass und Gewalt entladen werde.

Die Reise in die palästinensischen Gebiete war ein essenzieller und interessanter Bestandteil unseres Programms, obwohl wir vor Ort nicht viel Zeit hatten. Aufschluss für eine mögliche Lösung des Konfliktes haben uns unsere Gespräche zwar leider nicht geben können. Auch konnte man leicht den Eindruck gewinnen, die Situation sei aussichtslos. Trotzdem hat diese Reise uns die Möglichkeit gegeben, Israel auch von der anderen Seite zu sehen.

Freitag, 2. März 2012

Ein Tag am Toten Meer

Am Freitag den 2. März stand das Tote Meer und die Judäische Wüste auf dem Reiseplan. Erster Anlaufpunkt sollte En Gedi sein, eine Oase am Rande der judäischen Wüste, eingebettet in das gleichnamige Naturschutzgebiet. En Gedi bedeutet übersetzt „Quelle des Zickleins“ und beherbergt heute seltene Tierarten, darunter Steinböcke und die Palästina-Gazelle. Im Jahr 1953 wurde in der Oase ein Kibbuz gegründet, in dem heute etwa 800 Kibbuznikim hauptsächlich vom Tourismus leben.  Leider konnten wir die Oase nicht besichtigen, da sie wegen Überschwemmungen aufgrund des hohen Niederschlages der letzten Wochen geschlossen war.
Der nächste geplante Programmpunkt war die ehemalige jüdische Festung Massada, die nicht weit entfernt auf einem Tafelberg in der judäischen Wüste thront. Der Legende nach wurde die Festung im Jahr 73 nach Christus von aufständischen Zeloten bewohnt, die wiederum von einer übermächtigen römischen Armee belagert wurden. Im Angesicht der römischen Übermacht begingen die jüdischen Bewohner kollektiven Selbstmord, denn für sie war der Tod als freie Menschen erstrebenswerter als ein Leben unter römischer Herrschaft. So wurde Massada zum Symbol des jüdischen Freiheitswillens, was noch heute im Sprichwort „Massada darf nie wieder fallen“ zum Ausdruck kommt. Zu unserem Bedauern fiel aber auch Massada im wahrsten Sinne des Wortes „ins Wasser“: Die Straße zur ehemaligen Festung wurde von einem reißenden Fluss überflutet, in dem das Regenwasser der letzten Wochen aus den Bergen in das Tote Meer strömte. Es war für den Reisebus unmöglich, den Fluss zu überqueren. Doch das seltene Spektakel tröstete uns wenigstens etwas über den Ausfall hinweg: Wir stiegen aus und konnten die Flut hautnah erleben. Es floss immer mehr Wasser aus den Bergen herunter, sodass der Pegel schnell anstieg und wir letztlich sogar Mühe hatten, wieder einen Weg aus den Wassermassen herauszufinden. So erlebten wir doch noch ein bisschen Abenteuer zur Entschädigung!
Als dann doch wieder alle zum Bus zurück gefunden hatten, ging es weiter nach Qumran. Khirbet Qumran heißt die „graue Ruine“ und ist eine antike Siedlung, deren Ruinen teilweise erhalten sind und vollständig freigelegt wurden. Die Ruinen liegen auf einer Fläche nahe dem Nordwestufer des Toten Meeres und sind von einer beeindruckenden Felslandschaft umgeben. Archäologische Funde lassen auf eine zeitweise Besiedlung seit 800 vor Christus bis zur endgültigen Zerstörung der Siedlung während des jüdischen Krieges 66 bis 70 nach Christus schließen. Seine Bedeutung erhält Qumran durch die Funde antiker Schriftrollen, auch Qumranschriften genannt, in den umliegenden Felshöhlen in den Jahren 1947 bis 1956. Die Funde umfassen circa 15.000 Fragmente aus 850 verschiedenen Schriftrollen, die zwischen 250 vor Christus und 40 nach Christus verfasst wurden. Etwa 200 Schriften enthalten biblische Texte aus dem Tanach, der jüdischen Bibel bzw. dem Alten Testament. Die Qumranschriften stellen somit die ältesten Handschriften mit biblischen Texten dar.
Nach der Besichtigung Qumrans fuhren wir an den Strand des Toten Meeres. Das Tote Meer ist mit 422 Metern unter dem Meeresspiegel der tiefste Punkt der Erde. Berühmt ist das Tote Meer aufgrund seines hohen Salzgehaltes, der bei durchschnittlich 28% liegt (zum Vergleich: das Mittelmeer enthält durchschnittlich 3,8% Salz).Trotz Regen und relativer Kälte wagten sich einige Mutige ins Wasser und wurden mit einem einmaligen Erlebnis belohnt: Sie ließen sich im Salzwasser treiben und rieben sich mit wohltuendem Schlamm ein. Und die typischen Fotos –  im Wasser liegend Zeitung lesen – durften natürlich auch nicht fehlen!
Auf dem Rückweg nach Jerusalem hielten wir noch kurz an einem Aussichtspunkt im Wadi Quelt.  Hier hat man einen atemberaubenden Blick über das Wadi (Tal) und auf das in die Felswand gebaute griechisch-orthodoxe Kloster Sankt Georg.
Insgesamt war der Tag am Toten Meer ein gelungener Ausflug, der durch etwas Abenteuer und Badespaß eine erfreuliche Abwechslung in unser volles Programm brachte!

Donnerstag, 1. März 2012

Gespräche in Jerusalem....


Nach unserem Besuch in Yad Vashem fuhren wir im Reisebus den Herzlberg hinunter, dann weiter Richtung Osten durch immer enger werdende Straßen hinein ins Häuserdickicht der israelischen Hauptstadt. Dort, wo die beiden Viertel Gonen Katamon und Griechische Kolonie sich treffen, befindet sich die Jerusalemer Dependance des „Leo Baeck Instituts“ (LBI), unser nächstes und gleichzeitig letztes Ziel an diesem Tag. Vor Ort wurden wir von Anja Siegemund, der gegenwärtigen Direktorin des 1955 gegründeten Forschungszentrums herzlich empfangen und auch Michael Mertes, Leiter des nur wenige hundert Meter entfernten Auslandsbüros der „Konrad-Adenauer-Stiftung“ (KAS), und David Witzthum, Moderator und Chefredakteur bei der Rundfunkanstalt „Israel Broadcasting Authority“, die sich bereit erklärt hatten, mit uns über den Nahostkonflikt und vor allem über dessen Darstellung in den deutschen, israelischen und internationalen Medien zu sprechen, waren anwesend.

Doch zunächst erzählte Frau Siegemund uns vom Leben und Wirken Leo Baecks, dem Namensgeber des Instituts. Baeck wurde 1873 in der damaligen preußischen Provinz Posen geboren. Er war zu seinen Lebzeiten nicht nur ein hoch angesehener Rabbiner und einflussreicher Religionsphilosoph, sondern galt auch als einer der wichtigsten Köpfe der liberalen Judenheit. 1926 beteiligte er sich maßgeblich an der Gründung der „Weltunion für Progressives Judentum“. Nach der Emigration des anderen großen jüdischen Religionsphilosophen, Martin Buber, war Baeck von 1938 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs der höchste Repräsentant des jüdischen Glaubens in Deutschland. Er hatte mehrfach die Gelegenheit, der von den Nationalsozialisten beherrschten Heimat den Rücken zu kehren und ins sichere Ausland zu fliehen. Doch er blieb und kümmerte sich weiter um die Menschen in seiner Gemeinde, auch dann, als man ihn ins Konzentrationslager Theresienstadt steckte. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und der Befreiung durch die Alliierten siedelte Baeck nach London über, wo er schließlich 1956 starb.

Das von ihm gegründete „Institut zur Erforschung des Judentums in Deutschland seit der Aufklärung“ war schon im Jahr zuvor in „Leo Baeck Institut“ umbenannt worden. Seit dieser Zeit, so Direktorin Siegemund, fungiere die Einrichtung als wichtige Dokumentationsstätte für die Geschichte der deutschsprachigen Juden. Das LBI Jerusalem sei darüber hinaus „das führende israelische Forschungszentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Deutschland und Zentraleuropa“. Überdies verfügt man noch über Zweigstellen in New York und London. Diese Städte waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die größten Emigrationszentren für deutsche Juden. In Deutschland selbst unterhält das Institut eine wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft und kooperiert seit vielen Jahren mit dem Bundesministerium des Inneren sowie mit mehreren  Forschungseinrichtungen wie zum Beispiel dem in Berlin ansässigen „Zentrum für Antisemitismusforschung“.

In Frankfurt residiert obendrein der Verein „Freunde und Förderer des Leo Baeck Instituts“, und in dessen Vorstand sitzt, unter anderen, Michael Mertes. Der Jurist und ehemalige Bundesbeamte ist gleichzeitig der Leiter des Auslandsbüros Israel der KAS. Er sprach mit uns zunächst über seinen Amtsantritt im Sommer 2011 und schilderte seine persönlichen Eindrücke und Erfahrungen sowie die Atmosphäre, die er damals vorgefunden hatte. Das für Mertes nach wie vor „unglaublich spannende und interessante Land“ habe eine extrem heterogene, aber auch offene Gesellschaft, die für ihn „intellektuell außerordentlich anregend“ sei. Seine bisherige Arbeit für die KAS in Israel sei besonders von zwei Ereignissen geprägt gewesen: Zum Einen vom „Arabischen Frühling“, den die Israelis jedoch als „arabisches Erwachen“ bezeichneten, denn sie betrachteten die politischen Umwälzungen in den Nachbarstaaten mit großer Ambivalenz und Ungewissheit. Die Erstürmung des israelischen Botschaftsgebäudes in Ägypten im vergangenen September und der fast vollständige Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols auf der Sinai-Halbinsel hätten unter den israelischen Nachbarn Schock und Entsetzen verursacht. Der verstärkte Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen und die zunehmenden Raketenangriffe auf Städte wie Aschdod und Be'er Sheva seit Beginn dieses Jahres täten ihr Übriges, so Mertes.
Die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Syrien verfolge man ebenfalls mit größter Skepsis und Sorge. Mertes thematisierte auch die Diskussionen in Israel um die Frage einer möglichen atomaren Bewaffnung des Iran. Weiterhin kam Mertes auf die innenpolitische Situation des jüdischen Staates und hier vor allem auf das zweite große Ereignis seit seinem Amtsantritt zu sprechen, nämlich die Massenproteste im vergangenen Sommer. Er kritisierte, dass die Ursachen dieser sozialen Spannungen in deutschen wie internationalen Medien nur verkürzt dargestellt worden seien. Die landesweiten Demonstrationen hätten sich zwar in erster Linie gegen zu hohe Steuern, Mieten und Grundstückspreise gerichtet, der Grundkonflikt liege aber woanders. Er beruhe auf einer tiefen Spaltung der israelischen Gesellschaft. Der KAS-Büroleiter veranschaulichte die Situation anhand eines Witzes, der im Land zurzeit die Runde macht: „Ein Drittel der Israelis leistet Wehrdienst, ein Drittel arbeitet und ein Drittel zahlt Steuern. Das Problem ist nur, dass es immer dasselbe Drittel ist.“ Doch große Teile der säkular-liberalen Mittelschicht seien nicht länger bereit, für andere Bevölkerungsgruppen zu schuften und dabei selbst immer weiter zu verarmen. Fast nirgendwo sonst in der westlichen Welt finde sich eine so große Kluft zwischen Arm und Reich. Die Ultraorthodoxen, die in der Regel vom Wehrdienst befreit seien, dank staatlicher Transferleistungen nicht arbeiten müssten, aber dennoch größtenteils in Armut lebten, sorgten mit ihrem immer offensiveren Auftreten im Alltag zusätzlich für sozialen Zündstoff. Andersdenkende würden von ihnen ignoriert oder diskriminiert, und die Idee einer Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben stoße bei vielen religiösen Fanatikern auf Zustimmung. Der israelische Staat müsse hier, zusätzlich zu den gewohnten existenziellen Bedrohungen von außen, nun auch noch mit einem innenpolitischen Kulturkampf fertigwerden, so Mertes.

Es folgte dann ein kurzer Einblick in die tägliche Stiftungsarbeit, die seit Beginn des „Arabischen Frühlings „auf jeden Fall schwieriger geworden ist“ so Mertes. Der Leiter des KAS- Büros erzählte auch noch von Projekten und Kooperationen, wie beispielsweise der Förderung junger Beduinen im Bereich der Bildungspolitik, an denen die Stiftung sich gegenwärtig beteiligt.

Dann übergab er das Wort an David Witzthum. Der Journalist und Autor, der zudem Mitglied im Vorstand des LBI Jerusalem ist, sprach zunächst über die mediale Darstellung des Nahostkonflikts in der Vergangenheit und kommentierte dann die aktuelle politische Situation in der Region und die Reaktionen der Presse hierauf. Die Berichterstattung über Israel sei in Israel selbst grundsätzlich differenzierter als diejenige in Deutschland und Europa. Gehe es um das kleine Land am Mittelmeer, schreibe und sende die deutsche Presse seit Jahrzehnten fast ausschließlich über den Konflikt mit den Palästinensern. Für die meisten Journalisten in der Bundesrepublik seien dies die einzigen erwähnenswerten Nachrichten. Andere Themen kämen quasi nicht vor. In israelischen Medien wiederum gebe es immer weniger Schlagzeilen und Berichte über das, was sich in den palästinensischen Autonomiegebieten beziehungsweise in den Siedlungen im Westjordanland abspielt. In Jerusalem und Tel Aviv interessiere man sich hauptsächlich für Neuigkeiten aus den USA, Europa und Asien. Die Entwicklungen in der arabischen Welt und im Iran verfolge man ebenfalls sehr aufmerksam. Laufen auf einem israelischen Fernsehkanal aber Nachrichten aus Gaza oder Reportagen aus Ramallah oder Hebron, „schalten die meisten Israelis um“, so Witzthum.
Der Medienexperte sprach dann auch über die seit dem Jahr 2002 im Bau befindliche Sperranlage zum Westjordanland, die von einer großen Mehrheit der israelischen Bürger befürwortet wird, sowie über das Schicksal des im Jahr 2006 entführten und im vergangenen Oktober freigelassenen Soldaten Gilad Schalit. Anhand dieser beiden Themen veranschaulichte er noch einmal, wie verschiedenartig internationale Presseorgane auf der einen und israelische Presseorgane auf der anderen Seite über die politischen Entwicklungen vor Ort berichteten. Drehten die Schlagzeilen sich dann noch, wie im Fall Schalit, um ein emotional hoch aufgeladenes Thema, träten die Unterschiede besonders stark zutage. „Gilad Schalit war ja in den Augen vieler Israelis, auch dank einer ausgeklügelten PR-Kampagne, nicht mehr nur ein einfacher Soldat. Fast jede Familie hier betrachtete ihn zeitweise als eigenes Kind und verlorenen Sohn“, sagte Witzthum.
Solche „personalisierten Geschichten“ und deren Verbreitung über möglichst viele Kanäle führten zwar zu einer durchaus beachtenswerten Mobilisierung der Gesellschaft bis hin zu weltweiter Anteilnahme. Allerdings sehe er hier auch die „Gefahr einer Entpolitisierung des Nahostkonflikts“.
Und dies könne nicht im Interesse von Politik und Presse sein.