Montag, 27. Februar 2012

Gesprächsrunde im Büro der Heinrich-Böll Stiftung, Tel Aviv

Am 27.02.2012 war die Gruppe zu einer Gesprächsrunde im Büro der Heinrich-Böll Stiftung (HBS) in Israel eingeladen. Der Politikwissenschaftler Marc Berthold ist seit 2010 der Leiter des Bürosin Tel Aviv. Zuvor leitete er das Referat für Außen- und Sicherheitspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung in der Berliner Zentrale (2008-2010). Von 2007-2008 war er als Berater für Klima- und Energiepolitik für Renate Künast tätig und von 2001 bis 2007 arbeitete er im Nordamerika-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington DC als Programmleiter für "Environment and Global Dialogue".

Herr Berthold stellte zuerst kurz das Konzept der politischen Stiftungen vor, wobei er darauf hinwies, dass diese Organisationsform ein spezifisch deutsches Phönomen ist, dass auf die historischen Erfahrungen der Weimarer Republik zurückgeht. Danach ging er auf die Schwerpunkte der Stiftungsarbeit in Israel ein und schilderte die Probleme, mit denen sich die Stiftung vor Ort konfrontiert sieht. Als Stiftung steht die HBS  ideologisch der Partei Bündnis 90/ Die Grünen nah.  Über die bundesdeutschen Wurzeln hinaus versteht sie sich aber als Teil einer globalen politischen Grundströmung, die sich auf die Grundwerte der Ökologie und Nachhaltigkeit,  Demokratie und Menschenrechte, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit beruft. Ein besonderer Arbeitsschwerpunkt der HBS ist die gesellschaftliche Emanzipation und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern (Geschlechterdemokratie) sowie auch die Gleichberechtigung von Minderheiten. Die Stiftung arbeitet – sowohl in Deutschland, als auch im Ausland – im Bereich der Erwachsenenbildung und der Projektarbeit. Sie kann als eine Art Think-Tank verstanden werden, als „grüne Ideenagentur“ und internationales Politik-Netzwerk.

Die Stiftung arbeitet seit 1992 in Israel, 1998 wurde das Büro in Tel Aviv eröffnet. In dem Büro arbeiten heute insgesamt 6 Mitarbeiter_innen, von denen zwei aus Deutschland nach Israel entsendet worden sind – die Mehrheit bilden die Ortskräfte.  Die Arbeit der Stiftung findet stets vor dem komplexen historischen Hintergrund der deutsch-jüdischen und der deutsch-israelischen Beziehungen statt. Gleichzeitig spielen aber auch der Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern und der zwischen Israel und den arabischen Staaten eine große Rolle. Um ihre Ziele zu erreichen, arbeitet die HBS mit verschiedenen israelischen Organisationen und Akteuren zusammen (NGOs akademische Institutionen, politischen Entscheidungsträger_innen und anderen Interessenvertreter_innen), die sie bei der Planung und Implementierung von Projekten unterstützt.  Die Stiftung organisiert Workshops und Konferenzen, finanziert Trainings- und Forschungsprogramme und hilft den Partner_innen dabei, sich zu vernetzen. Außerdem koordiniert sie Israelbesuche von deutschen Akteuren, wie beispielweise Abgeordneten der Partei Bündnis 90/ Die Grünen.

Vier Themenschwerpunkte bestimmen die Agenda der HBS in Israel:

(1)    Umweltgerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung. In Israel, so erklärte der Leiter der Stiftung, mangele es nach wie vor an einem breiten Umweltbewusstsein – sowohl auf Seiten der Bevölkerung, als auch der Mehrheit der Politikgestalter_innen. Zwar gebe es immer mehr Initiativen zum Umweltschutz und israelische Forscher_innen seien im Bereich der Entwicklung von Umwelttechnologien besonders innovativ, die wachsenden Umweltprobleme, vor allem im Bereich der Wasserverschmutzung, stellten aber eine besondere Herausforderung für das Land dar. Die Bevölkerungsteile, die sowieso schon benachteiligt seien, seien davon am stärksten betroffen. Herr Berthold erklärte, dass die Stiftung eng mit dem Dachverband der israelischen Umweltorganisationen zusammenarbeite, den sie bei der Arbeit unterstütze und fördere. Eine Aufgabe der HBS im Bereich der Ökologie sei es, die Implementierung von Plänen der Regierung zu Umweltreformen – wie beispielweise dem „Green Economy“ Plan (2011) zur Förderung umweltfreundlicher Entwicklung– zu evaluieren. Berthold betonte dabei aber, dass der Umstieg auf grüne, erneuerbare Technologien und Energiequellen „maßgeblich vom Frieden mit Jordanien und den anderen Nachbarländern Israels abhängt“. Hieran zeigt sich die Dimension und Tragweite der politischen Konflikte in der Region.

(2)    Ein weiterer Schwerpunkt der HBS ist die Förderung von Frauenrechten und der Geschlechterdemokratie. Ziel der Programme sei es die soziale, politische und rechtliche Situation von Frauen in der israelischen Gesellschaft nachhaltig zu verbessern und deren Möglichkeiten, sich an politischen Entscheidungsfindungsprozessen zu beteiligen, zu erweitern. Die Stiftung unterstütze dabei  verschiedene jüdische, arabisch-israelische und jüdisch-arabische Frauenorganisationen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen. So fördere die Stiftung beispielweise einen Zusammenschluss von Rechtsanwältinnen, die sich für die Umsetzung der Resolution 1325 (Resolution zur gleichberechtigten Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen, Konfliktschlichtung und Wiederaufbau in bewaffneten Konflikten) in Israel einsetzen und helfe ihnen dabei, sich zu vernetzen. Als weiteres Beispiel für die Projektförderung im Bereich der Frauenrechte nannte Berthold die Zusammenarbeit mit der arabisch-israelischen Organisation „Kayan“. Gleichzeitig fördere die HBS Organisationen, die die Interessen von  LGBT-Gruppen (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) vertreten und habe, so Berthold, zum Beispiel die Öffnung eines Zentrums für Schwule und Lesben in Jerusalem unterstützt.  Die Realisierung der Geschlechterdemokratie „ist ein Aspekt, der in sämtlichen Projekten der Stiftung von zentraler Bedeutung ist“.

(3)    Die HBS engagiert sich auch im Bereich der Unterstützung der Zivilgesellschaft und
Demokratieförderung
. Die Zivilgesellschaft wird dabei als „Motor demokratischen Wandels“ betrachtet. Die Stiftung bemüht sich, die Rechte der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zu stärken und sie dabei zu unterstützen, Zugang zu Entscheidungsfindungsprozessen in Politik und Gesellschaft zu finden. Im Vordergrund steht dabei die Arbeit mit marginalisierten Gruppen, vor allem der arabisch-israelischen Minderheit in Israel sowie der Versuch, im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu vermitteln, um einen fairen Kompromiss zu erreichen. 

(4)    Den vierten Themenschwerpunkt der HBS in Israel stellen die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sowie die Beziehungen zwischen der EU und Israel dar. In diesem Bereich organisiert die Stiftung eine Reihe von Aktivitäten im Bereich der politischen Bildungsarbeit. Hierzu zählen unter anderem Konferenzen und Treffen zwischen verschiedenen deutschen und israelischen Akteuren, wie beispielweise Schriftsteller_innen, Akademiker_innen, Journalist_innen und Studierenden. So soll einerseits der Dialog zwischen den Ländern gefördert werden, andererseits sollen kritische Debatten in der jeweiligen Öffentlichkeit angeregt werden. Auch werden die Förderung des interkulturelles Verständnisses und der Zusammenarbeit zwischen den Ländern angestrebt. Die Beschäftigung mit und Aufarbeitung von der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden spielt in diesem Arbeitsbereich der Stiftung eine ganz besondere Rolle.

In der anschließenden Diskussionsrunde stand besonders eine Frage im Vordergrund: Die Frage nach der Legitimation der Stiftungsarbeit im Ausland. Mehrere der Studierenden wollten wissen, wie die Stiftung ihre Einmischung in die politischen Angelegenheiten des Staates Israel legitimiert. Herr Berthold machte deutlich, dass „die Arbeit der HBS von der israelischen Regierung akzeptiert wird und es ein Abkommen zwischen Deutschland und Israel gibt, in dem die Rahmenbedingungen der Arbeit festgesetzt sind“.  Die Auslandsarbeit der deutschen politischen Stiftungen könne allgemein als eine Form der Entwicklungszusammenarbeit verstanden werden, die HBS arbeite dabei getreu ihrer grünen Leitlinien. Ihre liberal-demokratischen Werte würde die Stiftung ganz bewusst auch im Ausland vertreten – man versuche dabei aber mit Kritiker_innen in den Dialog zu treten und sich mit deren Kritik konkret auseinanderzusetzen. Hinzu komme, dass die Stiftung nicht gezielt auf Organisationen zugehe und so versuche, ihre Agenda durchzusetzen. Anfragen nach Unterstützung „werden in der Regel von den Organisationen selbst an die Stiftung herangetragen“. Auf die Frage hin, ob die HBS auch mit Organisationen wie Hamas und Hisbollah zusammenarbeite, erklärte Berthold, dass extremistische Gruppen von der Stiftung grundsätzlich nicht unterstützt würden. Gleichzeitig hätten  Veränderungen der politischen Machtverhältnissen – Berthold wies hier auf den Wahlsieg der Hamas in  Gaza hin – immer auch einen großen Einfluss auf die Stiftungsarbeit vor Ort. Dessen müsse man sich bewusst sein, wenn man von solchen Gruppen spreche, deren Status neu definiert werden müsse, wenn sie bei demokratischen Wahlen an die Macht kämen. 

Gefragt wurde auch nach dem Verhältnis der verschiedenen deutschen Stiftungen zueinander. Herr Berthold machte deutlich, dass die Stiftungen in der Regel unabhängig voneinander agieren, was so sagte er, sich „schon durch die sehr unterschiedliche Themensetzung erklären lässt“. Doch in wichtigen Fragen, käme es durchaus zur Kooperation. Als Beispiel nannte er die jüngsten Versuche der israelischen Regierung durch Gesetze die Unabhängigkeit und den Aktionsspielraum von Nichtregierungsorganisationen – und somit auch der Stiftungen – erheblich einzuschränken. In Reaktion auf diese Vorhaben formulierten die Stiftungen gemeinschaftlich einen Brief an die Knesset, in dem sie die Gesetzesvorschläge stark kritisierten und an die demokratische Moral der Regierung appellierten. An dieser Stelle wies Berthold auf ein Dilemma der israelischen Demokratie hin: Solche Versuche, die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure zu beschneiden, seien aus undemokratischen Kontexten wie jüngst Ägypten oder auch Russland bekannt. Dass auch in einem Land wie Israel, das sich in seinem Selbstverständnis als demokratischen Staat definiere, solche Einschränkungen in Betracht gezogen würden, werfe Fragen nach dem Zustand der Demokratie auf.

Am Ende wurde Herr Berthold gebeten, kurz seine Einschätzung des politischen Diskurses in Israel zu wiederzugeben: Welche Themen sind gerade relevant? Welche Fragen bewegen die Menschen in Israel? Das Atomprogramm des Iran sei momentan das Hauptthema, um das die öffentliche Debatte sich drehe. Die israelische Regierung ziehe die militärische Option ernsthaft in Betracht und selbst viele Israelis, meinte Berthold, „werden nervös und unruhig“. Das sein ein schlechtes Zeichen . Auch die Veränderungen infolge des arabischen Frühlings in den Nachbarländern Israels würden in der Gesellschaft kritisch diskutiert. Letztlich hegten einige die Befürchtung, eine 3. Intifada bahne sich an.

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